Roland Riese

Roland Riese
berichtet aus seiner politischen Arbeit.

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Mittwoch, 16. Februar 2011

Landtagsrede zur Neuberechung der Grundsicherung


Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es trifft sich gut, dass meine Vorrednerin mit Flötengruppenunterricht aufgehört hat. Von der Finanzierung von Musikschulen versteht sie nicht sehr viel. Das hat sich hier deutlich gezeigt.
(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Ich habe im Internet recherchiert, was das kostet! 40 Euro im Monat!)
Ich habe an dieser Stelle in der Vergangenheit schon einmal andeuten können, dass die meisten kommunal getragenen Musikschulen im Land Niedersachsen eine Sozialermäßigung gewähren. Wer dort ankommt und nachweist, dass er Bezieher der Grundsicherung ist oder eine ähnlich schmale Einkommensbasis hat, bekommt den Unterricht in der Musikschule umsonst oder für einen Monatsbeitrag von 10 Euro. Das würde also aus dem Bildungspaket abgedeckt.
Meine verehrten Damen und Herren, es ist bekanntlich nicht das erste Mal, dass wir uns hier an dieser Stelle über die Auswirkungen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 und über die Rahmenbedingungen unterhalten. Es gibt tatsächlich aktuelle Gründe, weil ja die Beratungen in Berlin zwischen Bundestag, Bundesrat, Vermittlungsausschuss und einigen anderen Akteuren noch andauern.
Das Bundesverfassungsgericht hat der Politik im Februar 2010 aufgegeben, eine nachvollziehbare und transparente Berechnung der Grundsicherung durchzuführen. Der Leitsatz Nr. 3 aus dem genannten Urteil lautet folgendermaßen - ich darf zitieren -:„Zur Ermittlung des Anspruchsumfangs hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verläßlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu bemessen.“
Meine Damen und Herren, über alle unbestimmten, auslegungsbedürftigen und auslegungsfähigen Rechtsbegriffe dieses Satzes dürfen wir uns politisch unterhalten.
Was geschieht in der Realität? - Wir beobachten Verhandlungen, bei denen sich Beteiligte und Un-beteiligte aufführen, als seien es Tarifverhandlungen. Von der einen Seite wird gesagt, eine Erhöhung um 5 Euro sei das Ende der Fahnenstange. Die andere Seite sagt, es müßten 17 Euro mehr sein. Dritte haben schon immer gewußt, und zwar schon seit dem Bundestagswahlprogramm 2009, daß der Eckregelsatz 500 Euro betragen müsse.
All dies sind Dinge, die uns das Bundesverfassungsgericht ganz ausdrücklich nicht aufgegeben hat. Es hat vielmehr aufgegeben, das Berechnungsverfahren klar und transparent darzustellen.
Wer sich etwas tiefer mit der Materie beschäftigt, der weiß, daß das Berechnungsverfahren klar und nachvollziehbar dargelegt wurde. Sie alle haben die Möglichkeit, in die statistischen Auswertungen, die von der Bundesarbeitsministerin vorbildlich öffentlich dargestellt worden sind, hineinzuschauen.
(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Und was ist mit der Referenzgruppe?)
Wir dürfen uns darüber unterhalten, was existenznotwendige Aufwendungen sind. Darüber kann man dann tatsächlich debattieren und fragen, ob die berühmten Ausgaben für Benzin, Alkohol und Tabak existenznotwendig sind.
(Kreszentia Flauger [LINKE]: Die sollen doch zu Hause bleiben!)
Darüber, daß sie etwas mit Teilhabe zu tun haben, können wir uns einig werden, aber unter den strengen Begriff „existenznotwendig“ ist das nicht unbedingt zu fassen.
Meine Damen und Herren, ist es ja nicht nur Kennzeichen von Tarifverhandlungen, daß über die Höhe von Sätzen gesprochen wird, sondern es werden auch andere Gesichtspunkte in die Verhandlungen einbezogen, die ursprünglich nichts damit zu tun haben.
Dazu muß ich nun doch sagen: Die Debatte um Mindestlöhne, um Equal Pay und weitere Bedingungen der Zeitarbeit sowie um Schulsozialarbeiter sind eben nicht unmittelbar Bestandteil dieser Debatte. Dies sind hoch interessante Politikfelder, die mit Sicherheit mit dem möglichen Wohlstand der Menschen und mit Teilhabemöglichkeiten zu tun haben. Sie sind aber keineswegs durch das Bundesverfassungsgericht aufgegeben und müssen auch nicht in dem Zusammenhang des Sozialgesetzbuchs II geregelt werden.
Insofern kommt es dort zu politischen Kopplungsgeschäften, die die Gefahr mit sich bringen, daß uns wegen ihnen das Bundesverfassungsgericht später sagt, daß wir an dieser Stelle unsere Hausaufgaben nicht gemacht haben.
Der letzte Akt - wir haben es heute Morgen in der Zeitung gesehen -: Da treffen sich drei verdienstvolle Ministerpräsidenten mit den Namen Beck, Böhmer und Seehofer und präsentieren uns wieder eine Zahl - so erscheint es uns zumindest -, indem sie sagen, daß 8 Euro der richtige Weg sein könnten.
Das ist ein weiterer Debattenbeitrag, der, wie ich vorhin ausgeführt habe, nicht zum Ziel führen kann. Dieser Weg kann nur dann zum Ziel führen, wenn nachvollziehbar dargelegt wird, wie weit sich diese Berechnungsmodelle und die tatsächlichen Bedarfe in einer solchen Zahl kristallisieren. Dabei geht es natürlich um den regelmäßigen Grundbedarf, aber - wie uns das mehrfach zitierte Bundesverfassungsgericht aufgegeben hat - natürlich auch um die besonderen Bedarfe, die hier oder da entstehen können.
Es muß doch unser aller Ziel sein und bleiben, daß die Politik die Dinge so regelt, daß wir am Ende ein nicht verwaltungsaufwendiges Verfahren haben, das auch nicht mehr zu dieser Anzahl an Streitfällen führt, die wir in der Gegenwart bei den Sozialgerichten feststellen.
(Beifall bei der FDP und bei der CDU)