Roland Riese

Roland Riese
berichtet aus seiner politischen Arbeit.

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Freitag, 1. Juli 2011

Anbonymisierte Bewerbungen im öffentlichen Dienst

Kleine Anfrage der Abgeordneten Jan-Christoph Oetjen und Roland Riese

Eine Studie des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit hat gezeigt, daß allein die Angabe eines ausländisch klingenden Nachnamens die Bewerbungschancen verringert. Mit dem anonymisierten Bewerbungsverfahren könnte eine Bewerbungskultur in Deutschland etabliert werden, die den Fokus nur auf die Qualifikation eines Bewerbers richtet. In einem von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes durchgeführten bundesweiten Modellprojekt wird das anonymisierte Verfahren erprobt. Unter anderem beteiligt sich auch die Stadt Celle an dem Pilotprojekt. Die Zwischenbilanz der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat positive Rückmeldungen der Beteiligten ergeben.
Wir fragen die Landesregierung:
1. Plant sie für Niedersachsen ein eigenes Projekt zur Durchführung anonymisierter Bewerbungsverfahren im öffentlichen Dienst?
2. Hat die Landesregierung Erkenntnisse darüber, wie das anonymisierte Bewerbungsverfahren bei der Stadt Celle angenommen wird, und ist der Landesregierung bekannt, ob darüber hinaus im öffentlichen Dienst in Niedersachsen bereits heute anonymisierte Bewerbungen eingehen und, wenn ja, wie die Behörden damit umgehen?
3. Kann nach Auffassung der Landesregierung durch das anonymisierte Bewerbungsverfahren Diskriminierung bei der Auswahl von Bewerbern in jeder Hinsicht vermieden werden?



Antwort der niedersächsischen Landesregierung:

Die Gewinnung von Nachwuchskräften ist ein wichtiges Thema für die öffentliche Verwaltung. Die Stichworte „demografische Entwicklung“ und „Fachkräftemangel“ sind in aller Munde. Darüber haben wir hier auch schon häufiger diskutiert.
Wir steuern immer stärker auf einen Wettlauf der Arbeitgeber um die sogenannten klugen Köpfe zu. Diese brauchen wir auch in der öffentlichen Verwaltung. Gesellschaftliche Veränderungen, techno-logischer Fortschritt, Globalisierung und nicht zuletzt auch Einsparungsverpflichtungen der öffentlichen Hand - dies alles sind Anforderungen, mit denen sich die Bediensteten in den kommenden Jahren immer stärker auseinandersetzen müssen.
Um es auf den Punkt zu bringen: Die Leistungsanforderungen an Bedienstete werden steigen - bei insgesamt sinkender Anzahl von Bewerberinnen und Bewerbern. Um so wichtiger ist es, das Potential sämtlicher Bewerbergruppen noch besser auszuschöpfen, unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Familienstand oder Alter.
Im August 2010 hat die Niedersächsische Landesregierung ein Eckpunktepapier beschlossen. Es trägt den Titel „Demographiesicheres und ressourcenbewußtes Personalmanagement in Niedersachsen“. Zur Umsetzung wurde ein ressortübergreifendes Projekt ins Leben gerufen. Das Gesamtprojekt steht unter der Leitung des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport. Ein Schwerpunkt des Gesamtprojekts sind Aspekte der Nachwuchsgewinnung. Zum Beispiel sollen Konzepte entwickelt werden, um mehr Menschen mit Migrationshintergrund für Stellen in der Landesverwaltung zu gewinnen.
Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen namens der Landesregierung wie folgt:
Zu Frage 1:

Ein eigenes Projekt zur Durchführung anonymisierter Bewerbungsverfahren ist in der Landesregierung bisher nicht geplant.
In der Anfrage wurde das Beispiel aufgegriffen, daß bereits ein ausländisch klingender Name die Erfolgschancen einer Bewerbung verringern könne. Es ist das erklärte Ziel der Landesregierung, mehr Menschen mit Migrationshintergrund in den Landesdienst einzustellen. Wie bereits erwähnt, beschäftigt sich das Demographieprojekt der Landesregierung u. a. mit diesem Thema.
Ein gutes aktuelles Beispiel ist die niedersächsische Polizei. Hier wird schon viel getan, um Bewerberinnen und Bewerber mit Migrationshintergrund für die Polizei zu gewinnen. In den letzten Jahren hat die Polizei gezielte Werbemaßnahmen durchgeführt, um Menschen mit Migrationshintergrund anzusprechen. Bereits im Jahr 2007 wurde ein eigener Beratungsservice für diese Bewerbergruppe eingerichtet.
Die angebotene persönliche Beratung zielt zum einen darauf ab, den jungen Menschen mit Migrationshintergrund zu signalisieren: Die Polizei als Arbeitgeber interessiert sich für euch. Zum anderen soll den Bewerberinnen und Bewerbern Sicherheit für das bevorstehende Testverfahren vermittelt werden. Hier geht es auch darum, durch persönlichen Kontakt einen positiven Zugang zum Berufsbild der Polizei zu schaffen und Berührungsängste abzubauen. Die Beratungen werden von den Bewerberinnen und Bewerbern mit Migrationshintergrund sehr positiv aufgenommen und als Zeichen der Wertschätzung und des Interesses an der eigenen Person wahrgenommen.
Die Aufgaben aus dem Auswahlverfahren wurden daraufhin untersucht, ob sie Begriffe enthalten, die aufgrund der jeweiligen Herkunft nicht geläufig sind. Problematische Inhalte wurden durch neutrale und verständliche Angaben ersetzt. Das Anforderungsniveau der Testaufgaben wurde dabei nicht abgesenkt.
Durch diese Maßnahmen und aufgrund gezielter Werbemaßnahmen hat sich in den letzten Jahren der Bewerberanteil von jungen Menschen mit Migrationshintergrund bei der Polizei von weit unter 10 % auf aktuell über 15 % erhöht. Diese positive Entwicklung spiegelt sich auch in den Einstellungszahlen wider. So konnten im vergangenen Jahr bei insgesamt 454 Einstellungen 53 junge Menschen mit Migrationshintergrund gewonnen werden.
Die Polizei hat ein vitales Interesse daran, diese Zielgruppe proaktiv anzusprechen. Für eine erfolgreiche Arbeit benötigt die Polizei Beamtinnen und Beamte, die die Kulturen, die Denk- und Lebensweisen der hier lebenden Menschen mit Migrationshintergrund kennen und verstehen.
Nach jetziger Einschätzung führt eine anonymisierte Bewerbung bei der Polizei nicht zu einer Verbesserung der Einstellungschancen der Bewerberinnen und Bewerber mit Migrationshintergrund. Dies gilt insbesondere, wenn man sich allein auf dieses Instrument konzentriert. Nach der Überzeugung der Landesregierung ist es gerade wichtig, die interkulturelle Kompetenz, die unzweifelhaft in den Verwaltungen des Landes bereits vorhanden ist, dazu zu nutzen, auch für Bewerberinnen und Bewerber mit Migrationshintergrund attraktiv zu sein.
Zu Frage 2:

Die Stadt Celle nimmt seit November 2010 als einzige Kommune an dem Pilotprojekt des Bundes für anonymisierte Bewerbungsverfahren teil. Nach Informationen der Stadt wird das Verfahren sehr gut angenommen. Anfängliche Bedenken über einen zu hohen Aufwand bestehen inzwischen nicht mehr.
Die anonymisierte Bewerbung erfolgt mit einem Onlineverfahren. Auf Angaben zu Name, Alter, Geschlecht, Herkunft und Familienstand wird verzichtet. Auch Bewerbungsfotos fehlen. Vier Personen wurden im Rahmen dieses Verfahrens bereits eingestellt, vier weitere Verfahren laufen noch. Nach Auskunft der Stadt Celle liefert das anonymisierte Verfahren qualitativ gute Bewerbungen. Nach einer ersten Prognose soll das Verfahren auch nach Abschluß der Projektphase fortgeführt werden.
Zu Frage 3:

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat im Juni einen Zwischenbericht des Pilotprojekts für anonymisierte Bewerbungsverfahren erstellt. Der Bericht enthält erste Tendenzen zur Umsetzbarkeit des anonymisierten Bewerbungsverfahrens.
Endgültige Ergebnisse - insbesondere auch über die Effekte von anonymisierten Bewerbungen - werden im Frühjahr 2012 erwartet, also nach Abschluß des Pilotprojekts.
Die Landesregierung verfügt nicht über eigene Erkenntnisse, inwieweit Diskriminierung durch Anonymisierung effektiv vermieden werden kann. Ich persönlich gehe aber davon aus, daß es mindestens ebenso wichtig ist, Auswahlverfahren so zu gestalten, daß nicht allein die Aufgabenstellung über Erfolg oder Mißerfolg einer Bewerbung entscheidet. Schließlich kommt auch bei anonymisiertem Bewerbungsverfahren der Moment, in dem die Identität der Bewerber sozusagen offengelegt wird. Es hilft nichts, wenn Bewerberinnen und Bewerber beispielsweise mit Migrationshintergrund dann an den Einstellungsverfahren scheitern, weil sie einen anderen kulturhistorischen Hintergrund haben. Hier anzusetzen, wie es beispielsweise sehr erfolgreich die niedersächsische Polizei tut, sollte unser gemeinsames Ziel sein.
Anonymisierte Bewerbungsverfahren können hier allenfalls flankieren. Dementsprechend ist, sobald die Ergebnisse des Pilotprojekts vorliegen, zu entscheiden, ob die Erprobung einer solchen Verfahrensweise auch für die Landesverwaltung interessant sein könnte.